Als junge Frau demonstrierte ich lange vor der großen STERN-Kampagne “Wir haben abgetrieben” (06. Juni 1971) für sexuelle Selbstbestimmung, also das Recht, über meinen Körper selbst zu entscheiden und zwar im weitesten Sinne des Wortes. D. h. ich will nicht nur entscheiden, ob ich ein Kind bekomme oder ob ein Schwangerschafts-Abbruch für mich die Alternative ist, sondern ich will auch entscheiden,
- ob ich Sex habe,
- wann ich Sex habe,
- mit wem ich Sex habe
- und ob ich dies aus purer Lust, in einer Partnerschaft oder gegen Geld oder andere Vorteile tue oder selbst dafür etwas gebe/zahle.
Ich will darüber allein und frei und autonom entscheiden. Die
§§ 218 ff StGB stellen für mich eine Ungeheuerlichkeit dar, weil diese Regelungen sich im Strafgesetzbuch befinden und somit ein Abbruch strafbewährt ist. Und zudem werde ich auch von Wissen und Informationen ausgeschlossen, worauf ich meine Entscheidung aufbauen kann, also meinem informellen Recht auf Informationen.
Die §§ 218 betreffen uns alle Frauen und alle Menschen und stellen eine große rechtliche Ungerechtigkeit dar.
Natürlich müssen sich Sexarbeiter*innen auch fragen: bekommen sie ein Kind oder entscheiden sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch.
So gehen wir Sexarbeiter*innen auch schon seit Jahren mit bei diesen Demos und zeigen uns solidarisch mit Euch Allen.
Doch der § 218, das Erstarken der AbtreibungsgegnerInnen und die Anwendung von § 219 a in letzter Zeit zeigen, wie sich die Zeiten geändert haben. Der allgemeine Rechtsrutsch und das gesellschaftliche Rollback sind ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung von uns allen Frauen: andere wollen entscheiden, ob wir gebähren oder nicht und letztendlich wie wir leben.
Und diesen Rollback haben wir Sexarbeiter*innen schon viel früher zu spüren bekommen:
- jahrelang haben ProstitutionsgegnerInnen eine Hetz-Kampagne gegen uns geführt, sich über uns erhoben und immer wieder behauptet, wir „könnten letztendlich nicht selbst entscheiden, ob wir anschaffen gehen, wir müssten vor uns selbst geschützt werden, eigentlich seien wir Opfer und brauchten den Schutz des Staates“.
- Dies mündete am 01. Juli 2017 im sogenannten ProstituiertenSchutzGesetz, dass uns umfänglich einer staatlichen Kontrolle und Überwachung unterstellt – mit einer paternalistischen Haltung.
- Jede Sexarbeiter*in muss sich seitdem halbjährlich bzw. 1 x jährlich einer gesundheitlichen Zwangsberatung stellen – für Ernährung, Gesundheit, Schwangerschaft und Drogen – und einer jährlich bzw. 2-jährlich zu wiederholenden Anmeldung. Für beides werden Bescheinigungen ausgestellt, die auch verweigert werden können. Ohne diese darf eine Sexarbeiter*in nicht arbeiten. Das hat für sie und ggfls. auch den Bordellbetreiber Konsequenzen, z. B. in Form eines Bußgeldes.
- Diese engmaschigen, bürokratischen Auflagen und Kontrollen zeigen schon starke Parallelen zu den Zwangs-Beratungen im Schwangerschafts-Kontext – nur dass für uns eine Behörde zuständig ist…. und für die Überwachung u. U. die Polizei.
- Aber das Klima und das Gesetz haben auch dafür gesorgt, dass Sexarbeiter*innen nicht mehr sicher sind in ihrem Job, Sexarbeiter*innen auf der Straße angegriffen und beleidigt und sogar getötet werden. Ich komme gerade von einer Demonstration, die vor der 12-Apostel-Kirche, also an der Kurfürstenstraße, dem Straßenstrich, stattfand und Teil eines europaweiten Aufrufs gegen Gewalt an Sexarbeiter*innen und die Erinnerung an Vanessa Campos war, eine transsexuelle Sexarbeiterin aus Peru, die am 16. August 2018 in Paris ermordet worden war.
Aber die größte Parallele sehe ich in dem Bemühen des Staates und bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (darunter sind auch Feministinnen), sich über das Selbstbestimmungsrecht von Frauen zu erheben und uns in unserer Freiheit und unseren Rechten zu beschneiden.
Hier müssen wir zusammenhalten, solidarisch sein und gemeinsam antreten – so wie heute. Dafür danke ich Euch!
Stephanie Klee für die Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!“