Liebe Mitdemonstrant*innen!
Ich gehe heute auf ein paar der vielen Gemeinsamkeiten ein, die Politiken zu Abtreibung und Sexarbeit verbinden. Eine dieser Gemeinsamkeiten ist, dass sowohl Abtreibungs- als auch ProstitutionsgegnerInnen Menschen gegen Menschen ausspielen. Genauer gesagt, dass Personen, die in der Regel überhaupt nicht davon betroffen sind, weil sie sich weder für eine Abtreibung noch fürs Anschaffen entscheiden müssen, Menschen, die vor diesen Entscheidungen stehen oder sie bereits gefällt haben, wegen diesen Entscheidungen als schlecht hinstellen, weil es noch marginalisierteren Menschen schaden würde.
Konkret: Bei Abtreibung wird die teils prekäre Situation aus der heraus ungewollt Schwangere ihre Entscheidung treffen übergangen, weil schließlich muss noch vulnerableres Leben geschützt werden. Bei Sexarbeit wird die häufig eher prekäre Situation aus der heraus jemand den Schritt wagt eine gesellschaftlich komplett stigmatisierte Tätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuüben als vergleichsweise privilegiert dargestellt, und dazu müsse die- oder derjenige schon in den sauren Apfel der Zwangsregistrierung beißen, damit die noch vulnerableren Betroffenen von Menschenhandel und Zuhälterei durch diese Zwangsregistrierung geschützt würden.
Übrigens ist auch diese Zwangsberatung – beim Schwangerschaftskonflikt braucht man hinterher immerhin nicht mit einem Abtreibungspass rumlaufen – eine Gemeinsamkeit dieser beiden umstrittenen Felder der sexuellen Selbstbestimmung. Und in beiden Fällen dient die Zwangsberatung der statistischen Erhebung.
Dass nicht nur Frauen schwanger werden können und anschaffen wird dabei geflissentlich übersehen. Denn diese Rhetorik stempelt Frauen, die abtreiben und der Sexarbeit nachgehen zu egomanischen Täterinnen ab. Dabei verharmlosen wir weder Abtreibung noch Sexarbeit. Nur bleiben unsere differenzierten Argumente ungehört.
Dabei handelt es sich meiner Meinung nach weder bei dem einen noch bei dem anderen Argument um wirkliche Sorge um die noch vulnerableren sogenannten ungeborenen Leben oder Betroffenen von Menschenhandel, sondern schlicht darum die eigenen engen Wertevorstellungen anderen Menschen aufdrücken zu wollen. Woran mache ich es fest, ob es sich wirkliche um Sorge oder einfach nur vorgeschobene Rhethorik handelt?
Wäre wirklich Sorge die Motivation, dann würden andere Hebel betätigt werden. Hebel, die die Lebens- und Arbeitsumstände hierzulande und auf der ganzen Welt verändern. Hebel, die eine gute Welt für alle kreiieren, in der sich zum Beispiel die Frage “Wie sollte ich auch noch ein Kind finanzieren, wenn ich selbst kaum um die Runden komme?” gar nicht erst stellen. Hebel, die Menschen gar nicht erst in so vulnerable Situationen kommen lassen, wo sie sich von Menschenhändlern, Schleppern oder Zuhältern abhängig machen müssen oder abhängig werden. Hebel also, die in ganz anderen Politikbereichen liegen, und mit der Zeit die Abtreibungszahlen und die Zahlen von Betroffenen von Menschenhandel – übrigens nicht nur in der Sexarbeit – drastisch sinken lassen würden.
Die Beschneidung der sexuellen Selbstbestimmung von Menschen ist dafür schlicht das falsche Mittel.
Die CDU-CSU und SPD verkaufen uns die jüngsten Gesetzesänderungen zum Schwangerschaftskonflikt und zu Sexarbeit als Verbesserung zu vorher. Das ist schlicht verlogenes Marketing der Regierung.
Seit Jahren versuchen konservative und bei Sexarbeit leider auch feministische Strömungen die sexuelle Selbstbestimmungen noch mehr einzuschränken. Nein, dass Abtreibung nach der Zwangsberatung auch weiterhin nicht strafverfolgt wird, ist in Deutschland genauso wenig sicher, wie dass nach dem sogenannten Prostituiertenschutzgesetz von 2017 nicht noch mehr Kriminalisierungen folgen.
Wir befinden uns hier in der Oranienburger Straße. Einem der traditionellen Straßenstriche in Berlin. Und den Kolleg*innen hier hilft diese Zwangsberatung nicht, genausowenig wie den Betroffenen von Menschenhandel.
Vor Monaten lief erneut eine Kampagne an, dass unsere Kunden bestraft werden sollten. Obwohl sie uns nichts getan haben. Die Arbeitsbedingungen für Kolleg*innen in Ländern mit Freierbestrafung sind deutlich schlechter als die Arbeitsbedingungen hierzulande. Und würden wir hier eine Freierbestrafung bekommen, würden sich vor allem die Arbeitsbedingungen für die Kolleg*innen auf der Straße wie hier auf der Oranienburger Straße drastisch verschlechtern.
Medien und Politik mögen trotzdem die Einschränkung der Rechte von so stigmatisierten Menschen, von denen kaum eine den Mund aufmacht, um sich nicht zu outen. Weil dann brauchen sie nicht die wirklich relevanten Hebel ansprechen, geschweige denn ändern.
Wir Sexarbeiter*innen streiten heute hier zusammen mit euch, so wie in all den letzten Jahren und zwischen den WTF Demos und seit Jahrzehnten in all den anderen feministischen Zusammenhängen. Wir Sexarbeiter*innen sind jetzt mehr denn je stark auf eure Solidarität angewiesen. Zugegeben: Wer sich für die Rechte von Sexarbeiter*innen einsetzt, bekommt die Stigmatisierung übergestülpt und wird zur Zuhälter- und Menschenhändler-Lobby abgestempelt. Aber genau deswegen brauchen wir eure Solidarität, um gegen dieses Totschlagargument zu stehen. Wir brauchen sie jetzt für die kommenden Jahre noch dringender als zuvor, damit wir keine Freierbestrafung bekommen. Und Solidarität ist leider nicht immer etwas, was Spass macht und bequem ist. Wirklich notwendige Solidarität zeigt sich darin, dass man sie auch anbietet, wenn es für einen selbst unbequem ist. Für die bisherige Solidarität von euch Danke ich euch, und um die künftige Solidarität bitte ich euch.
Rede der Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!“ gehalten und geschrieben von Marleen Laverte