Warum Storytelling immer funktioniert, können wir auf der Homepage einer Stuttgarter PR-Agentur nachlesen:
„Alle lieben Geschichten. (…) Denn Geschichten sind die Urform der Kommunikation. Wir erzählen jeden Tag Geschichten: in der Mittagspause, zu Hause beim Abendessen oder mit Freunden in der Kneipe. (…) Denn Geschichten vermitteln Gefühle. Und diese Gefühle können Sie exakt steuern, um genau die gewünschten Reaktionen bei Ihrer Zielgruppe hervorzurufen. Was sollen Ihre Kunden denken? Was sollen sie fühlen? Und was sollen sie anderen erzählen?“
Die Agentur bietet an, Wege zu finden, „um Ihre Geschichte so wirkungsvoll zu erzählen, dass sich Ihre Zielgruppe lange daran erinnert und diese sogar weitererzählt.“
Und was hat das jetzt mit Sexarbeit zu tun?
Genau diese PR-Agentur hat gemeinsam mit dem Landesfrauenrat Baden-Württemberg die Kampagne „Rotlicht aus“ gegen Prostitution entwickelt.
Sehen wir uns die Geschichte, die mit dieser Kampagne erzählt wird, genauer an:
Die Kampagne wurde von Initiatorinnen aus dem Landesfrauenrat Baden-Württemberg und den sieben Frauen von Sisters e.V. als Dachkampagne entwickelt, mit der sie dafür sorgen wollen, „dass es im ganzen Land eine starke gemeinsame Botschaft gegen den Sexkauf gibt“
Das Ziel der Kampagne: Ein Verbot von „Sexkauf“, denn „durch die Liberalisierung des Prostitutionsgesetzes von 2001/2002 und durch die EU-Osterweiterung“ habe „Prostitution ein völlig neues, fürchterliches Gesicht bekommen“. Ein „unmenschlicher, verfassungswidriger Turbokapitalismus“ zwinge Frauen in einen „Billigsex-Teufelskreis“. Deshalb wolle die Kampagne „1.Aufklären & informieren“ um Druck auf Politik und Behörden auszuüben, „2. Ächten & provozieren“ um ‚Freier‘ zu sein „untragbar“ zu machen und „3. Kräfte bündeln & Spenden sammeln“.
Auf einem Internetportal bietet die Kampagne „Initiativen, die bereits gegen den Sexkauf kämpfen oder es zukünftig vorhaben, einheitliche Werbemittel und Tipps für deren Einsatz“ an. Als „Werbemittel“ der Kampagne vorgestellt werden Plakatmotive und Leuchtreklamen im „typischen Neon-Look des Rotlichtmilieus“, z.B. ein Plakat mit der Aussage: „Dein Spass ist mein Horrortrip“ oder „Zu verkaufen: Körper, Freiheit,Würde“
Welche Geschichte wird hier den Betrachter*innen des Plakats erzählt?
In der Sprache der PR-Agentur, die das Plakat entworfen hat: „Was sollen sie fühlen? Und was sollen sie anderen erzählen?“
Was der männliche Betrachter, der potentielle Kunde von sexuellen Dienstleistungen, fühlen soll, scheint klar: Er soll die Aussage als Aussage einer bzw. aller Prostituierten wahrnehmen, er soll sich schämen und ein schlechtes Gewissen haben. Soll er nun Verantwortung als Kunde übernehmen, zum Beispiel indem er Sexarbeiter*innen fragt, unter welchen Bedingungen sie Spaß an ihrer Arbeit haben (könnten)? Nein, er soll ganz einfach das Rotlichtmilieu meiden. Wenn es funktionieren würde, die Gefühle von Kunden so zu „steuern“, würden als Ergebnis nur noch Kunden ohne Verantwortungsbewusstsein und Gewissen sexuelle Dienstleistungen kaufen. Zum Glück für Sexarbeiter*innen wird diese Kommunikationsstrategie nicht funktionieren: Ein Kunde von Prostituierten hat die Möglichkeit, im direkten Kontakt und Gespräch mit ihnen dazu beizutragen, dass die Begegnung mit ihm kein Horrortrip ist – und viele Kunden sind in gutem Kontakt mit den Sexarbeiterinnen, die sie besuchen.
Das ist sehr wahrscheinlich auch den Macherinnen der Kampagne klar. Tatsächlich geht es darum, Kunden von Prostituierten zu „ächten“, das wird auch als eines der Ziele der Kampagne benannt. Freier sollen von anderen pauschal als Kunden ohne Verantwortungsbewusstsein wahrgenommen und dafür verachtet werden.
Was sollen Frauen, die das Plakat ansehen, fühlen?
40% der Frauen in Deutschland haben seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt, 42% von ihnen kennen psychische Gewalt aus eigener Erfahrung (Quelle). Zwei von drei Frauen haben ’sexuelle Belästigung‘ am Arbeitsplatz erlebt (Quelle). Unschätzbar viele Frauen leiden unter den psychischen Folgen von sexualisierter Gewalt in ihrer Kindheit (Quelle). Die Täter waren und sind ganz überwiegend männlich und aus dem engen privaten oder beruflichen Umfeld. Der Tatort: meist die eigene Wohnung oder der Arbeitsplatz.
Vielen weiblich sozialisierten Personen wird deshalb mindestens eine Situation in ihrem Leben einfallen, in der sie sich genau so gefühlt haben: „Sein Spass war mein Horrortrip“ Solche Erinnerungen schmerzen – und dieser Schmerz wird beim Betrachten des Plakats bewusst oder unbewusst reaktiviert. Weiblich sozialisierte Personen sollen sich mit der vermeintlichen Aussage einer Prostituierten identifizieren und die „Geschichte vom Opfer-sein“ anderen erzählen. Sollen sie von ihren eigenen traumatischen Erinnerungen erzählen?
Nein, der „Look des Rotlichtmilieus“ und die klischeehafte Darstellung einer Sexarbeiterin machen deutlich, das es hier um Prostituierte als Opfer geht. Und niemand würde anderen Frauen, die in anderen Kontexten Opfer von Gewalt geworden sind, eine derart unsensible Darstellung davon zumuten – und den Tätern, ihren Brüdern, Vätern, Partnern, Chefs und Kollegen auch nicht. Frauen können und sollen mit solchen Geschichten und Bildern ihre eigenen traumatischen Erinnerungen und das ‚Opfer sein‘ auf Prostituierte projizieren und ihre Wut auf die (unbekannten) Täter im ‚Rotlichtmilieu‘, auf ‚Freier‘, richten.
Was sollen Sexarbeiterinnen beim Betrachten dieses Plakates fühlen?
Marleen, eine Sexarbeiterin, empfindet es so: „Wir Huren sollen damit verunsichert werden, unser eigenes Erleben in Frage stellen oder uns als Ausnahme fühlen, wenn wir uns nicht als Opfer sehen. Künftige Kolleginnen sollten abgeschreckt werden und ihr Erleben von Freierkontakten mittels selbsterfüllender Prophezeiung gelenkt werden, damit die Traumathese der Prostitutionsgegnerinnen eintritt. Das untergräbt Solidarität und spaltet Sexarbeiterinnen.“
Frauen in ihrem eigenen Erleben zu verunsichern, ihnen ihre eigene Wahrnehmung abzusprechen, ist eine zutiefst patriarchale Strategie, die wir eigentlich aus anderen Feldern kennen. Wir können das zum Beispiel in vielen Reaktionen auf #metoo beobachten, in denen Opfer von Gewalt lächerlich gemacht werden, ihnen Übertreibung vorgeworfen wird, oder gar behauptet wird, sie würden die Schilderungen ihrer Gewalterlebnisse zu strategischen Zwecken benutzen. In diesen Kontexten fällt es uns als Feministinnen nicht schwer, solche Reaktionen als Fortsetzung von struktureller patriarchaler Gewalt zu entlarven. In feministischen Debatten wurde dem das Konzept der Definitionsmacht entgegen gesetzt: Das Recht von Betroffenen sexualisierter Gewalt, zu definieren, was sexualisierte Gewalt ist.
Es ist bestürzend und verstörend, wenn Werbeagenturen im Auftrag von angeblichen Feministinnen dieselbe patriarchale Strategie verwenden – in diesem Fall, um zu definieren, was Frauen als „Horrortrip“ zu empfinden haben. Und dabei Sexarbeiterinnen die Definitionsmacht genommen wird.
Aber so funktioniert Werbung im ‚Turbokapitalismus‘ nun mal – Frauen werden zum Objekt gemacht, um eine Botschaft zu erzählen; Gefühle werden manipuliert, um eine Geschichte zu erzählen! „Schämt euch!“ möchte frau den angeblichen Feministinnen, die die Kampagne unterstützen, einfach nur zurufen.
Dieser Beitrag wurde von unserer Unterstützerinnengruppe „Maria+Magdalena 4ever“ geschrieben.