Rede auf der 1. Mai Demo in Berlin

Liebe Genossinnen und Genossen,

seit genau 10 Monaten müssen wir Sexarbeiter*innen dem Prostituiertenschutzgesetz Folge leisten. Seither müssen wir uns registrieren und beim Arbeiten als Beweis dafür einen Hurenausweis mitführen. Für meine Kolleg*innen und mich bedeutet das 10 Monate der Unsicherheit und des Chaos.

Chaos, weil in Berlin und vielen anderen Bundesländern das Gesetz zu spät oder bisher noch gar nicht umgesetzt wurde.

Chaos, weil die Bescheinigungen darüber, dass man versuchte sich anzumelden, wie sie z.B. in Berlin noch vorläufig ausgestellt werden, in anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfahlen und Hamburg nicht anerkannt werden. Möchte man dort arbeiten, muss man also nochmal zu einer Behörde laufen und sich nochmal registrieren.

Videoaufnahme der ersten Hälfte der Rede von @freundeskreisv (https://twitter.com/freundeskreisv/status/991295700288798720)

Chaos, weil das Gesetz in jedem Bundesland anders umgesetzt wird.

Chaos, weil meistens unklar ist, wer überhaupt kontrollieren darf: Die Landespolizei? Die Bundespolizei? Der Zoll? Die Steuerfahndung? Das Ordnungsamt? Die Mitarbeitenden in der neuen Registrierungsbehörde? Alle miteinander? Nur eine der vielen Behörden?

Dieses Chaos allein ist politisch nicht tragbar und führt zur Verschwendung unserer Lebenszeit.

Schlimmer noch ist aber die Unsicherheit, die das Gesetz mit sich bringt:

Die Unsicherheit, wer die Daten bekommt: Nur die Behörde, bei der ich mich registriert habe? Im Gesetz ist vorgesehen, dass die Registrierungsbehörden in allen Orten, in denen ich angegeben habe zu arbeiten, meine Daten bekommen. Außerdem das Finanzamt.

Wir Sexarbeiter*innen haben aber auch Angst davor, wo die Daten landen können:

Was ist, wenn übereifrige Behördenmitarbeiter unseren Hauptarbeitgeber informieren?

Was ist, wenn meine Krankenkasse informiert wird und ich unsicher bin, ob die mich dann rauswerfen?

Was ist, wenn die Polizei informiert wird? Werde ich dann bei der nächsten Führerscheinkontrolle darauf angesprochen und vor meinen mitfahrenden Kindern geoutet?

Was ist, wenn über Europol und Interpol die Daten an die Polizei in die Heimatländer meiner Kolleg*innen weiter gegeben werden? In Länder, in denen Prostitution an sich strafbar ist? Werden meine Kolleg*innen in ihren Herkunftsdörfern und Herkunftsstädtchen zwangsgeoutet? Oder schlimmer noch – strafverfolgt?

Viele meiner Kolleg*innen und ich haben Angst vor den Konsequenzen einer Registrierung. Wir entscheiden uns gegen eine Registrierung und wählen illegalisiert zu arbeiten. Unsere Arbeit war nicht erst seit dem Prostitutionsgesetz 2002 legal. Sie war schon seit Jahrzehnten davor legal. Und jetzt? Jetzt produziert ein Gesetz, das uns Sexarbeiter*innen schützen sollte, eine riesige Masse an illegalisierten Prostituierten. Und jene, die wegen Migrationsgesetzen oder mangelndem Arbeitsvisum sowieso schon illegalisiert waren, bekommen diesen Gesetzesverstoß noch oben drauf gepackt.

Nicht zuletzt zerstört dieses Gesetz unsere Arbeitsplätze. Seit dem 1. Juli 2017 haben in Berlin unendlich viele Bordelle geschlossen. Manchmal Bordelle, die an den total überzogenen und fehlgeleiteten Normen eines Bordellarbeitsplatzes scheiterten. Manchmal Bordelle, die einfach von Sexarbeiter*innen mal mehr mal weniger auf Augenhöhe geführt und genutzt wurden und die schlicht keinen Bock haben, dass eine von ihnen jetzt die Chefin, die Bordellbetreiberin, sein muss.

Bordelle sind für uns Sexarbeiter*innen die sichersten Arbeitsplätze. Dort sind Kolleg*innen anwesend, die sofort einschreiten können, falls ein Kunde übergriffig wird. Wir können uns unterhalten und austauschen. Das ist beides sowohl für die psychische Gesundheit als auch für unsere Professionalisierung immens wichtig.

Aber diese Bordelle gibt es nicht mehr.

Sexarbeiter*innen müssen den Betreiber*innen den Hurenausweis vorlegen, sonst wird das Bordell geschlossen und muss 50.000€ Strafe zahlen. Und die Bordelle, die es noch gibt, haben zunehmend Schwierigkeiten, weil meine Kolleg*innen und ich uns lieber nicht registrieren wollen und damit ins Internet verdrängt werden. Damit vereinzeln wir. Kollegialer Austausch wird deutlich erschwert und Besuche bei den Kunden zu Hause oder im Hotelzimmer sind viel unsicherer. Die Vielfalt unserer Arbeitsplätze steht auf dem Spiel.

Das diesjährige Motto dieser Demonstration ist “Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit”

Die Hurenbewegung wünscht sich Solidarität seitens der Arbeiter*innenschaft. Erkennt bitte auch unsere Arbeit als Arbeit an und unsere Arbeitskämpfe als Arbeitskämpfe.

Wir hoffen, dass die Vielfalt unserer Branche erhalten bleibt.

Gerechtigkeit aber ist für uns ein noch kaum greifbarer Traum.