special feature: Protest gegen „Sexkaufverbot“

  • 15.10.2019: Sexarbeiter*innen & Friends protestieren gegen Bestrebungen von Bundestagsabgeordneten ein "Sexkaufverbot" einzuführen. Foto: Friederike Strack

Am 15.10.2019 startete ein parlamentarischer Arbeitskreis zum Thema Prostitution. Die Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier (SPD) hat ihn initiiert, sie engagiert sich auch in der Organisation ‚Sisters‘ für das Verbot von Sexarbeit. Auch andere teilnehmende Politiker*innen der CDU/CSU und der SPD haben sich bereits positioniert: Sie wollen das „nordische Modell“ das sogenannte „Sexkaufverbot“ einführen.

Dagegen protestierten rund 170 Sexarbeiter*innen, solidarische Feminist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen.

Dabei ist dieser tolle Video entstanden:

Wir dokumentieren hier außerdem zwei Redebeiträge:


MY BODY, MY CHOICE – RAISE YOUR VOICE!

Als bundesweite Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt“, initiiert 2016 von feministischen Sexarbeiter*innen, Sozialarbeiter*innen und queer/feministischen Aktivist*innen, protestieren wir heute hier vor dem Paul-Löbe-Haus.

Wir fordern die Rücknahme des ProstSchG und die Streichung aller diskriminierenden Paragraphen in den verschiedensten Gesetzen wie z. B. dem Strafgesetzbuch, dem Aufenthaltsrecht, Baurecht.

Wir protestieren gegen den ab 20 Uhr hier stattfindenden parlamentarischen Arbeitskreis „Prostitution – wohin?“. Die Initiator_innen des Arbeitskreises sind Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU und der SPD. Sie haben 2016 – gegen den Protest von Sexarbeiter*innen, ihrer Verbände, Fachberatungsstellen und NGO`s (vgl. www.amnesty.de), das ProstituiertenSchutzGesetz (ProstSchG) verabschiedet. Sie sind es auch, die seit längerem die Einführung eines Sexkaufverbots für Deutschland fordern und verweisen dabei immer wieder auf das „Schwedische Modell“.

  • Das ProstSchG bedeutet Kontrolle, Registrierung, lückenlose Erfassung von Mobilitätsdaten und persönlichen Daten der Sexarbeiter*innen und den Aufbau von – fast – unüberwindbaren Hürden für die Bordelle, sodass Arbeitsplätze vernichtet werden und Sexarbeiter*innen „abwandern“ in ungeschützte Arbeitssituationen, wo sie vereinzeln und den kollegialen Austausch vermissen müssen.
  • In Schweden gilt seit nunmehr 20 Jahren das sog. Sexkaufverbot. Danach werden Kunden von Sexarbeiter*innen verfolgt und bestraft. Ihnen droht ein Bußgeld und auch Gefängnisstrafe, gepaart mit diskreditierenden Briefen nach Hause und zum Arbeitsplatz. Sexarbeiter*innen werden nicht bestraft, haben jedoch die Auswirkungen des Gesetzes zu tragen.

Schutz ist nicht zu erkennen.

Doch worum geht es den Prostitutionsgegner_innen wirklich? Im Verbund mit Organisationen wie z. B. Sisters, Solwodi, Terre des Femmes vertreten sie für

  • ein rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild mit der Priorisierung der Kleinfamilie,
  • und wollen, dass Sexualität ausschließlich in Beziehungen und für „Liebe“ zu haben ist.

Schutz fordern sie nur verbal. Sonst stünden auf ihrer Agenda zumindest auch Forderungen wie:

  • umfassende Einstiegsberatung für Menschen, die anschaffen gehen wollen, um sie auf die Erfordernisse der Sexarbeit vorzubereiten,
  • Verpflichtung von Frauenhäusern zur Aufnahme von Frauen, die in der Sexarbeit tätig waren,
  • Schutz vor Beleidigungen und Verletzungen von Sexarbeiter*innen auf der Straße durch Prostitutionsgegner_innen und die öffentliche Verurteilung solcher Taten,
  • Schaffung von alternativen Arbeitsplätzen und Förderung von Bildung im schulischen und beruflichen Bereich,
  • Schutz vor Abschiebung von migrantischen Sexarbeiter*innen und Wiedergutmachung im Rahmen von Strafverfahren aller Art

Unsere Position ist klar:

Menschen können nur gestärkt werden durch Rechte und Respekt. Rechte und Respekt brauchen auch Sexarbeiter*innen. Verdrängung und Verbote sind keine Mittel des Schutzes, sondern stellen eine zusätzliche Schwächung der Rechte von Sexarbeiter*innen und ihre weitere Diskriminierung und Stigmatisierung dar.

Dass das „Schwedische Modell“ für Sexarbeiter*innen in Schweden keinen Schutz darstellt, haben sie gerade in einer großen Studie belegt. Sie haben ihre sicheren Arbeitsplätze, die Bordelle, verloren, können sich nicht mit einer Kollegin eine Arbeitswohnung teilen, arbeiten allein und haben kaum kollegialen Austausch mehr, Kinder, Partner und Vermieter stehen im Verdacht der Ausbeutung/Zuhälterei, sie müssen sich auf unsichere Situationen einlassen – zum Schutz ihrer Kunden und finanzielle Einbußen bedrohen sie.

Wollen das die Prostitutionsgegner_innen, wenn sie von Schutz sprechen? Es stellt sich die Frage nach ihrer Motivation. Ihr moralischer Anspruch ist eingebettet in einem konservativen Mainstream, den wir mit Hilfe des Feminismus, der Demokratie und gesellschaftlichen Liberalisierung überholt geglaubt hatten. Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft, in der die Rechte unteilbar sind und auch Minderheiten die gleichen Rechte zustehen, auch die Sicherung der persönlichen Freiheitsrechte. Eine Gesellschaft, in der die sexuelle Selbstbestimmung grundgesetzlich garantiert wird – besonders von Frauen. Hier sehen wir uns im Verbund mit Feministinnen, die sich in diesem Kontext selbstverständlich für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch und natürlich auch für LGBTQ – Rechte und die Rechte anderer Minderheiten einsetzen. Wir wollen eine tolerante Gesellschaft, mit gleichen Rechten für Alle – ohne Stigmatisierung und erst recht ohne strukturelle Gewalt, was das ProstSchG mit seinen „Zwangsberatungen“, dem „Hurenausweis“ und der Verletzung des Datenschutzes zweifelsfrei ist.

Die Forderung eines Sexkaufverbotes zeugt zudem von einer starken Sexualfeindlichkeit. In Zeiten immer höherer Anforderungen, Mobilitäten, Unsicherheiten und steigender Digitalisierung sind Menschen weniger eingebunden in Familienverbände, Freundschaftskreise und Kiez- oder Dorfgemeinschaften und vermissen Nähe, Intimität, Sexualität. Grundbedürfnisse, die entscheidend sein können für die Gesundheit, das Wohlergehen und die Leistungsbereitschaft. So verwundert es nicht, dass Mediziner, (Sexual-) Psychologen, Therapeuten, Hirnforscher, Neurobiologen, Alters- und Demenzforscher verstärkt auf die Bedeutung von Sexualität  – in seiner Vielfalt und mit seinen persönlichen Veränderung während eines Lebens – aufmerksam machen. Sexualität hält schlank, fit und schön, macht gesund und stellt eine Ressource dar, die jeder Mensch einsetzen kann, aber nicht muss. Es ist längst überfällig, darauf gesellschaftlich zu reagieren und Sexualität in seiner Vielfältig anzuerkennen und nicht nur in einer heterosexuellen Ehe zur Zeugung von Nachkommen zu tolerieren. Menschen sind vielfältig und haben vielfältige Begierden. Dazu gehört natürlich auch der Wunsch, seine Sexualität in der Sexarbeit – also losgelöst von einer verpflichtenden Beziehung und gegen Geld in einem klaren Setting auszuleben.

Sexarbeiter*innenrechte sind Menschenrechte und Frauenrechte


Für uns ist klar: Solche Bestrebungen sind antifeministisch

Das nordische oder schwedische Modell verbietet das Bezahlen von sexuellen Dienst­leistungen und jegliche Unterstützung von Sexarbeitenden, auch gegenseitige Unterstützung von Sexarbeiter*innen untereinander, zum Beispiel Schutzmaßnahmen. BefürworterInnen dieses Modells werden nicht müde zu beteuern, dass das Anbieten sexueller Dienst­leistungen ja straffrei bleiben würde, als Sexarbeiter*innen selbst nicht kriminalisiert würden.
Was für eine Mogelpackung: Kaufen und Verkaufen gehören zum gleichen Kreislauf. Wer den Kauf verbietet, entzieht Sexarbeiter*innen die Verdienstgrundlage, treibt sie in unsichere Arbeitssituationen und klassifiziert alle Sexarbeiterinnen per se als Opfer, unabhängig davon, wie sie ihre eigene Situation sehen. Ich muss den meisten von euch nicht erzählen, was das für Sexarbeiter*innen bedeutet. Es bedeutet Diskriminierung und Entrechtung. Erst vor kurzem haben Sexarbeiter*innen und Menschenrechtsaktivist*innen deshalb ihren Protest gegen das Schwedische Modell auf die Straße getragen.
An ihren Protest knüpfen wir heute an und senden damit gleichzeitig solidarische Grüße nach Schweden und in alle Länder, in denen Sexarbeiter*innen um ihre Rechte kämpfen müssen.

Wir wissen nicht, welchen Einfluss der heute gestartete Arbeitskreis auf die zukünftige Gesetzgebung haben wird, noch sind Befürworter*innen des sogenannten „Sexkaufverbot“ auch in der SPD eher eine Minderheit, aber die Gründung dieses Arbeitskreises ist so oder so eine bodenlose Frechheit, denn federführend sind die selben regierenden Parteien, die uns vor wenigen Jahren erst das ProstituiertenSchutzGesetz beschert haben. Auch dieses Gesetz hat mit Schutz nichts zu tun, sondern unter dem Deckmantel von Bemühungen Prostituierte zu schützen, werden sie gegängelt, kontrolliert und schikaniert.
Deshalb haben wir, die Kampagnengruppe der Kampagne Sexarbeit ist Arbeit. Respekt! dazu aufgerufen, solidarisch mit Sexarbeiter*innen gegen dieses Gesetzesvorhaben zu protestieren.

Ich möchte euch kurz unsere Kampagne Sexarbeit ist Arbeit. Respekt! vorstellen, denn diese Kampage richtet sich ausdrücklich gegen das ProstituiertenSchutzGesetz und alle anderen diskriminierenden Gesetze gegen Sexarbeiter*innen.
Wir sind ein Netzwerk von Sexarbeiter*innen, queer/feministischen Aktivist*innen und Sozialarbeiter*innen, die sich für die Rechte von Sexarbeiter*innen einsetzen. Natürlich lassen sich diese Gruppen von Akteur*innen nicht trennscharf voneinander abgrenzen, denn schließlich gibt es genügend Aktivistinnen die Ex-Sozialarbeiterinnen sind und nun Sexarbeiterinnen, oder umgekehrt oder feministische Sexarbeiterinnen usw. Wir benennen diese unterschiedlichen Gruppen, weil wir damit deutlich machen wollen, dass es aus unterschiedlichsten Motiven gute Gründe gibt, sich gegen das ProstituiertenSchutzGesetz zu wenden.
Sozialarbeiter*innen zum Beispiel müssen sich damit auseinandersetzen, ob sie die sich parteilich an die Seite von Sexarbeiter*innen stellen, die sie beraten – Oder sich ohne Protest als Rädchen im Getriebe der staatlichen Kontroll- und Überwachungsmaschine einfügen.

Als Feministin, die die Kampagne Sexarbeit ist Arbeit. Respekt! mitgegründet hat, bin ich davon überzeugt, dass die gesellschaftliche Ausgrenzung von Sexarbeiter*innen uns alle angeht.

Denn es geht um das sexuelle Selbstbestimmungsrecht aller Frauen* und Männer*. Mit dem Stigma ‚Hure‘ bzw. Freier* zu sein, werden alle diskriminiert, die nicht in he­teronormative Moralvorstellungen von monogamer Kernfamilie passen.

Der Dualismus von Heilige und Hure ist ein Kernelement von geschlechtsspezifischer Sozialisation, mit dem alle Mädchen* und Frauen* in ihrem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werden. Mit der Drohung von sexualisierter Gewalt wächst jede Frau auf. Allen Mädchen und Frauen wird eingetrichtert, dass sie selbst dafür verantwortlich sind, sich vor sexualisierter Gewalt zu schützen, indem sie sich nicht wie eine „Hure“ verhalten. Angebliche Feminist*innen, die zum Schutz vor Gewalt, Sexarbeit verbieten wollen, haben genau dieses patriarchale Motiv verinnerlicht und tragen genau damit zur Verschleierung von Gewalt gegen Frauen bei.
Diese angeblichen Feministinnen definieren pauschal Sexarbeiter*innen als Opfer und sprechen anderen Frauen damit die eigene Wahrnehmung ab. Das ist eine zutiefst patriarchale Strategie, um Frauen zu entmündigen. Was treibt sie an? Ist es der Wunsch sich selbst als Retterinnen zu inszenieren? Ist es das Bedürfnis, eine Ausdrucksform von Feminismus zu finden, mit der sie Lob und Ehre auch in CDU/CSU und noch rechteren Kreisen finden?
Für uns ist klar: Solche Bestrebungen sind antifeministisch: Es sollte eine feministische Selbstverständlichkeit sein, Sexarbeiterinnen im Kampf um mehr Rechte und um Respekt zu unterstützen. Wir lassen uns nicht spalten in emanzipierte Frauen und sogenannte, von außen definierte Opfer. Sexismus und Patriarchat betrifft uns alle – wenn auch in unterschiedlicher Form.

An dieser Stelle eine Bemerkung zu Parallelen und Verschränkungen zu Rassismus:

Wie ihr wisst, sind die Bestrebungen, Sexarbeit zu kriminalisieren, auch ein Angriff auf das Freizügigkeitsrecht von Bürger*innen anderer EU-Staaten. Das Verbot von Prostitution würde ihnen eine Möglichkeit der legalen Erwerbstätigkeit nehmen. Das wäre kein zufälliger Nebeneffekt: Das Ausländerrecht ist voll von Gesetzen, die Migration einschränken und behindern, die mit dem Motiv „Schutz von Frauen“ begründet wurden. Und sie wurden und werden nicht zufällig oft von den selben Kreisen befördert: Einerseits befürworten sie mit der Zuschreibung dass patriarchale Gewalt von „Fremden“ anderen Kulturen ausgeht, ausländerrechtliche und asylrechtliche Verschärfungen und andererseits verorten sie mit denselben Zuschreibungen patriachale Gewalt im „fremden“ Prostitutionsmilieu.

Dem setzen wir unsere unteilbare Solidarität entgegen: Wer das Selbstbestimmungsrecht von Frauen* und LGBTQ einschränkt oder einschränken will, muss mit unserem Widerstand rechnen. Ob gegen den § 218, ob gegen restriktives Aufenthaltsrecht oder diskriminierende Gesetze gegen Sexarbeiter*innen – als Feminst*innen und queere Aktivist*innen kämpfen wir für Selbstbestimmung. Danke an euch alle, dass ihr dafür heute auf der Straße seid!

Zum Schluss noch etwas ganz konkretes zu unsere Kampagne Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!: Wir sind von Anfang an und bis heute ein No-Budget Projekt. Alle Arbeit machen wir unbezahlt, für alle Projekte muss neu mit aufwändigen Anträgen Geld ran geschafft werden. Von unserem aktuellen Projekt Strich / Code / Move habt ihr sicher schon gehört und viele von euch waren vielleicht auch dabei. Für das Projekt Strich / Code / Move hat sich der Trägerverein Move e.V. schwer verschuldet, weil die Anschaffung der Wägen und ihre künstlerische Gestaltung sehr teuer war. Wir konnten das nur mit Hilfe von privaten solidarische Kreditgeberinnen stemmen, die aber irgendwann auch ihr Geld zurück bekommen sollen. Wir gehen deshalb auch heute mit einer Spendendose rum und bitte werft was rein oder nutzt unsere Homepage zum bequemen online-spenden. Danke!