Am 24. Sept. 2017 wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Selbstverständlich ist es uns bei der Wahlentscheidung besonders wichtig, dass die gewählten Parteien die Rechte von Sexarbeiter*innen vertreten und keine repressiven Gesetze zur Bevormundung und Stigmatisierung von Prostituierten verabschieden.
Aus diesem Grund haben wir alle aktuellen Bundestagsabgeordneten angeschrieben und sie nach ihrWahlempfehlung für die Bundestagswahl 2017 – Teil 1er Einstellung zu Sexarbeit gefragt:
Bis die hoffentlich zahlreichen Antworten der Abgeordneten eintreffen, analysieren wir schon einmal den bisherigen Stand der politischen Entwicklungen und vor allem auch die Wahlprogramme der Parteien.
Bei unserer Betrachtung der Parteien beschränken wir uns auf die sechs Parteien, die laut aktueller Prognosen den Einzug in den Bundestag schaffen werden: CDU, SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD.
In den Wahlprogrammen der beiden Parteien, deren Einzug in den Bundestag im Moment noch etwas wacklig erscheint – FDP und AfD – findet sich keine Erwähnung der Thematik.
Zur Afd möchten wir allerdings erwähnen, dass sie durch ihre antifeministischen und rassistischen Forderungen unwählbar ist für alle, denen Menschenrechte und Selbstbestimmung ein Anliegen ist.
Während der aktuellen Legislaturperiode hat die Große Koalition aus CDU und SPD das “Prostituiertenschutzgesetz” auf den Weg gebracht, das am 1. Juli 2017 in Kraft getreten ist und anstatt eines vorgeblichen Schutzes hauptsächlich Kontrolle und Repression für Sexarbeiter*innen bringen wird. In den Wahlprogrammen dieser beiden Parteien für die Bundestagswahl gibt es keine Erwähnung der Thematik “Sexarbeit” – wahrscheinlich weil es kein besonders “wahlkampftaugliches” Thema ist oder aber die Parteien nehmen an, mit ihrem neuen Gesetz alles ausreichend geregelt zu haben.
Die beiden Oppositionsparteien im Bundestag – Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen – haben das neue “Prostituiertenschutzgesetz” aus verschiedenen Gründen abgelehnt (Reden im Bundestag: Cornelia Möhring, Die Linke und Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen). Nur in den Wahlprogrammen dieser beiden Parteien sind nun auch Erwähnungen aus dem Themenkreis der Sexarbeit zu finden:
Die Linke
“Rechte von Frauen stärken
Gesellschaftliche Machtverhältnisse schlagen sich auch in der Prostitution nieder. In der LINKEN werden unterschiedliche Wege diskutiert, mit Prostitution politisch umzugehen. Einigkeit besteht darin: Die in der Prostitution Tätigen müssen geschützt und gestärkt werden. Sie dürfen nicht zu Objekten gemacht werden. […]
Schutz vor Gewalt
Wir wollen Zwangsprostitution als Ausbeutung bekämpfen, ohne die zur Prostitution gezwungenen Menschen zu bekämpfen. DIE LINKE will Opfer von Menschenhandel besser schützen. Solange die Betroffenen keinen sicheren und eigenständigen Aufenthaltsstatus erhalten, sind die Täter durch die Angst der Opfer geschützt. Aufenthaltstitel, Schutz und Entschädigung müssen unabhängig von der Bereitschaft der Opfer, als Zeugin oder Zeuge in einem Strafverfahren auszusagen, gewährt werden. Für die Betroffenen fordern wir Therapiemittel, medizinische sowie psychologische Betreuung, Rechtsbeistand und Rechtshilfe, Zugang zu sozialen Leistungen und Bildungsangebote.”
(Seite 70/71 “Langfassung des Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2017”, Link zum Dokument)
Bündnis 90/Die Grünen
“Gewaltfrei leben
Die Rechte und den Schutz von Frauen und Männern, die in der Prostitution arbeiten, wollen wir durchsetzen und stärken. Dazu wollen wir freiwillige Beratungsangebote stärken und finanziell unterstützen. Die Auswirkungen des Prostituiertenschutzgesetzes werden wir evaluieren. Menschenhandel, zum Beispiel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, ist ein abscheuliches Verbrechen und muss mit allen Mitteln bekämpft werden. Das heißt mithilfe des Strafrechts, durch Information und Beratung sowie durch Schutz und Hilfe für die Opfer. Opfer von Menschenhandel dürfen nicht einfach abgeschoben werden. Ein dauerhaftes Bleiberecht würde ihre Anzeige- und Aussagebereitschaft deutlich erhöhen.”
(Seite 132 “Bundestagswahlprogramm 2017”, Link zum Dokument)
Die Linke trägt leider inhaltlich durch ihr Wahlprogramm wenig bei, hier scheint es nur der Minimalkonsens ins Programm geschafft zu haben, dass “die in der Prostitution Tätigen geschützt und gestärkt” und “nicht zu Objekten gemacht werden” sollten. Konkrete Maßnahmen, wie die Rechte von Sexarbeiter*innen gestärkt werden könnten, werden hier nicht unterbreitet, sondern lieber direkt im Anschluss der Fokus auf Zwangsprostitution und Menschenhandel gesetzt. Selbstverständlich unterstützen auch wir die Forderungen zur Stärkung der Opfer von Menschenhandel (gesicherter Aufenthaltsstatus, psychologische und rechtliche Unterstützung, etc.) – aber das gilt für Menschenhandel in allen Branchen und Bereichen, nicht nur in der Prostitution!
Beim Bündnis 90/Die Grünen lassen sich schon konkretere Ideen zur Stärkung der Rechte von Sexarbeiter*innen finden: “freiwillige Beratungsangebote stärken und finanziell unterstützen” und “Die Auswirkungen des Prostituiertenschutzgesetzes werden wir evaluieren.” Diese Maßnahmen können allerdings nur ein Anfang sein! Auch in diesem Wahlprogramm wird leider direkt im Anschlusssatz auf Menschenhandel eingegangen und auch die Überschrift “Gewaltfrei leben” bezieht sich eher auf diese Aspekte als auf die Rechte von Sexarbeiter*innen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Mehrzahl der Parteien das Thema nicht auf ihrer Agenda hat (CDU, SPD, FDP, AfD). In diesem Sinne sind die Parteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen schon einmal positiv hervorzuheben, da sie sich in ihren Programmen überhaupt zur Thematik äußern. Leider sind die inhaltlichen Punkte dann doch wieder sehr dürftig und eine Vermischung des Themas Sexarbeit mit Ausbeutung und Menschenhandel ist weder inhaltlich sinnvoll noch nötig.
Aus diesem Grund sind wir nun umso gespannter auf die Antworten der einzelnen Abgeordneten und hoffen natürlich, dass sie unsere Forderungen ebenfalls auf ihre Agenda setzen.
Einige unserer Forderungen:
- Abschaffung des „Prostituiertenschutzgesetzes“ und aller anderen diskriminierenden und kriminalisierenden Gesetze gegen Sexarbeit, wie z.B. Sperrgebietsverordnungen
- soziale Gerechtigkeit und die Gleichstellung von Sexarbeit mit anderen Erwerbstätigkeiten, besserer Zugang zu Krankenversicherung und anderen Sozialleistungen
- Förderung von Empowerment und Peer-Education – von Sexarbeiter*innen für Sexarbeiter*innen
Abschließend möchten wir außerdem betonen, dass viele Sexarbeiter*innen als Menschen ohne deutschen Pass kein Wahlrecht haben und wir solidarisch mit ihnen das Wahlrecht für alle Menschen fordern, die hier leben. Bis dahin möchten wir alle auffordern, bei ihren Wahlentscheidungen auch die Interessen von Menschen ohne Wahlrecht mitzubedenken.